Taxistatistik Januar 2018 bis März 2019

12. Juni 2019 von Redaktion

Es gibt kaum belastbare Zahlen über das Berliner Taxigewerbe. Deshalb betrachten wir hier die Entwicklung der amtlich dokumentierten Taxizahlen in Berlin und stellen sie in den Zusammenhang mit unseren eigenen Beobachtungen zu Arbeitszeiten, Umsätzen und Löhnen. Es geht umdie "Aufbauphase" von Uber in Berlin bevor die Lockdown-Apokalypse das Taxigewerbe traf. Seitdem ist viel passiert. Der ursprünglich am 12.6.2019 veröffentlichte Artikel gibt Hinweise auf Probleme, die gerne verschwiegen werden. Im Laufe der Pandemie wurden sie immer dringlicher und kamen zugleich in Gefahr, in Vergessenheit zu geraten.

Taxistatistik Januar 2018 bis März 2019 (15 Monate)

Auf Grundlage des letzten Gutachtens zur Wirtschaftlichkeit des Berliner Taxigewerbes und der seitdem erfolgten Entwicklung der Konzessionsszahlen sowie unter Berücksichtigung der ca. 3000 im Frühjahr 2019 in Berlin aktiven Mietwagen, die als de-facto-Taxis betrieben werden, ergibt sich die grundlegende Erkenntnis, dass die Einkommen der Taxifahrer seitdem nicht gestiegen sein können, sondern mit Sicherheit abgenommen haben. Mündliche Berichte von Taxifahrern über ihre aktuellen Umsätze, Einkommen und Arbeitszeiten zeigen, dass in Berliner Taxibetrieben weiterhin in der Mehrzahl der Betriebe an die meisten Fahrer weniger als der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird.

Die folgende Tabelle ergänzt diese Erkenntnis um zusätzliche Fakten.

DatumTaxisBetriebe1-WagenMehrwagenAutos/MWBAutos MW/1W
31.1.2018 8057 3242 2558 684 5499 2,15
2.5.2018 8090 3263 2572 691 5518 2,15
1.10.2018 8138 3258 2556 702 5582 2,18
1.2.2019 8200 3192 2518 674 5686 2,25
28.2.2019 8230 3183 2514 669 5716 2,27
29.3.2019 8217 3173 2510 663 5707 2,27
31.5.2019 8200 3126 2478 648 5713 2,30
Diff. A-O +143 -116 -80 -36 +214 +0,15

Auswertung

Ungeachtet der miserablen Einkommen und Umsätze pro Auto hat sich die Zahl de Berliner Taxis im Laufe des Jahres 2018 bis Ende März 2019 um 143 auf insgesamt 8200 erhöht. Dabei ist Zahl der Einwagenbetriebe, so gut wie alle werden von einem selbst fahrenden Unternehmer betrieben, um 80 zurückgegangen, während die Mehrwagenbetriebe um 214 Fahrzeuge gewachsen sind. Dabei ist die Anzahl der Mehrwagenbetriebe sogar um 36 geschrumpft. Wie genau dieser Konzentrationsprozess aussieht, betrachten wir hier nicht.

Dieses Ergebnis stützt die Erkenntnis aus anderen Daten, dass in Berlin weiterhin mit einem Taxi kein auskömmliches Einkommen zu erzielen ist. Eigentlich müsste ein selbst fahrender Unternehmer wesentlich mehr als ein angestellter Fahrer verdienen, denn er kann frei entscheiden, zu den Zeiten mit den besten Umsätzen zu arbeiten und spart Lohnnebenkosten und Verwaltungsaufwand für Angestellte. Der Gewinn, auch Unternehmerlohn genannt, der vom Einkommen der angestellten Fahrer abgeht, kommt ihm voll zugute. Er hat vier Vorteile im Vergleich zum Angestellten.

In jedem kapitalistischen Unternehmen verringern sich die Gewinne bei sinkendem Umsatz und gleichbleibenden Kosten, während die Löhne auch in schlechten Zeiten nicht unter das Mindestlohnniveau sinken dürfen. Zur Überbrückung der Phase mit niedrigen Umsätzen verbraucht das Unternehmen einen Teil seines Kapitals und gleicht das mit den Gewinnen aus nach Erholung der Konjuktur erzielten besseren Umsätze aus. Diese Besserung hat im Berliner Taxigewerbe seit den 1980ger Jahren nicht stattgefunden, und so gut wie kein Betrieb dürfte im Normalfall heute noch rentabel aufrecht zu erhalten sein.

Es gibt zwei Methoden, mit denen Unternehmen dennoch überleben und Gewinne machen können. Zunächst werden die variablen Kosten, vor allem die Löhne, gesenkt. Dann wird das nominell betriebene Gewerbe durch andere, mehr Profit bringende Geschäfte ergänzt. Ein gut geführter Taxibetrieb erschließt sich durch feste Verträge die Behindertenbeförderung, bietet Stadtrundfahrten, Langstrecken- und Lieferfahrten an. Das funktioniert für eine begrenzte Anzahl von Betrieben und erklärt nicht, wieso Kapital in ein immer weniger profitables Geschäftsfeld investiert wird. Die Anzahl der Fahrzeuge in Mehrwagenbetrieben hat erstaunlicher Weise in nur einem Jahr um ca. 4 Prozent zugenommen. Dieses Wachstum wünscht sich die Bundesregierung für das ganze Land.

Wie kommt die verbesserte Renditerwartung zustande, welche die Grundlage dieses Wachstums darstellt? Offensichtlich haben es die Mehrwagenunternehmen geschafft rentabel zu bleiben, wo Kleinunternehmen aufgeben.

Wir gehen davon aus, dass die illegale Arbeitszeitverkürzung im Taxameter es den Unternehmen ermöglicht, die Lohnkosten so weit zu senken, dass sie allein durch massives Unterschreiten des Mindeslohnniveaus auf Kosten der angestellten Fahrer rentabel sind. Wenn wir davon ausgehen, dass ein Fahrer während einer 12-Stunden-Schicht 6 Stunden am Halteplatz verbringt, die entgegen der Gesetzeslage nicht bezahlt werden, spart das Unternehmen bei fünf Einsatztagen pro Woche und Fahrzeug 275,70 Euro zuzüglich der Lohnnebenkosten. Das macht pro Monat einen illegalen Zusatzprofit von etwa 1200 Euro. In Zeiten schechter Umsätze ist das der Puffer, den Mehrwagenunternehmen als Vorteil im Vergleich zu selbstfahrenden Unternehmern haben. Sie können Fahrzeuge auch rund um die Uhr mit mehrern Fahrern besetzen, und so ihr Ergebnis noch weiter steigern.

Als weiteres Standbeine für derart kriminelle Unternehmen bieten sich Aktivitäten im Bereich der Geldwäsche an. Da das Taxigewerbe als Teil des öffentlichen Nahverkehrs durch einen niedrigen Mehrwertsteuersatz in Höhe von 7% an Stelle von 19% gefördert wird, und immer noch viel Bargeld eingenommen wird, ist ein Taxibetrieb eine der lukrativsten Waschanlagen für Gelder aus kriminellen Aktivitäten.

Im Endergebnis kann man feststellen, dass ein Wachstum bei Mehrwagenbetrieben im grundsätzlich unrentablen Taxigewerbe auf zunehmende kriminelle Verflechtungen und Aktivitäten hinweist, die von der Aufsichtsbehörde LABO, Berufsgenossenschaften, Zoll und Polizei in gemeinsam untersucht und verfolgt werden sollten.

Jungen Menschen auf Arbeitsuche kann unter diesen Umständen nur dringend vom Beruf des Taxifahrers abgeraten werden.

Zu untersuchen bleiben einerseits vollständige und längerfristige Zeitreihen, die mit anderen Wirtschaftsdaten wie der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung und Zahlen über den Tourismus in Berlin in Zusammenhang genracht werden müssten.

Für unsere Fragestellung würden dabei voraussichtlich keine grundsätzlich anderen Ergebnisse herauskommen, so dass drei wesentliche Feststellungen bleiben:

1. Die angestellten Taxifahrer werden bis auf wenige Ausnahmen systematisch um den ihnen zustehenden Lohn betrogen.

2. Die wenigen nachweislich ehrlichen Mehrwagenbetriebe und die selbstfahrenden Unternehmer brauchen dringend Unterstützung.

3. Die fragwürdigen bis kriminellen Praktiken in Mehrwagenbetrieben müssen im Interesse von Allgemeinheit, ehrlichen Taxibetrieben und angestellten Taxifahrern wirkungsvoll bekämpft werden.

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Nachrichten

  • Liebe Kollegen,

    hier der 2. Versuch meiner Kommentierung:

    Die aus der Statistik ermittelten weiteren Daten und ihre Interpretation finde ich schlüssig dargestellt. Jedoch sind nicht alle uns übe,mttelten Monate erfasst, z.B. de 30,4, mit 8241 Taxen, den wir vom Senat bekamen.

    Zum Absatz über die 1-Wagen- Unternehmer: Der Unternehmerlohn ist nicht der Reingewinn = Profit, der z.B. in mehr oder bessere Taxen investier oder als Kapital anghäuft werden kann.
    Der Unternehmerlohn ist das, was der/die Unternehmer/in sich für den eigenen Lebensunterhalt zusprechen kann. Bei Mehrwagenbetriegen , wo die Chefs nicht selber fahren, wird das aus den von den Angestellten erwirtschafteten Umsätzen genommen. EinzelunternehemerInnen müssen das selber erarbeiten; sich also selbst ausbeuten.
    Neben den benannten Vorteilen haben sie auch Nachteile: Sie müssen die Taxe (re-)finanzieren und sie benötigen eine teure private Krankenversicherung (oder den Selbständigentarif bei den GKV , der auch nicht viel besser ist). Vor einigen Jahren, als ich noch mehr Ersparnisse hatte, habe ich mal in Erwägung gezogen, ob ich mich selbständig mache, und es gelassen. Absatz bitte auch mit den Nachteilen ergänzen, oder rausmehmen !

    Die Absätze zu extra- Profiten durch Mindestlohnunterschreitung und Geldwäsche finde ich OK. Sie erklären in de Tat, warum es immer mehr Taxen gibt, obwohl ihr Betrieb, legal durchgeführt, unrentabel wäre. Die 6 h "Pause" bei 12h- Schichten sind natürlich eine Modellrechnung, deren Beispielhaftigkeit nicht belegbar ist.

    Bei den Forderungen finde ich die 2. politisch falsch. Wir sind eine Gewerkschafts- AG; und wir 3 sind gewählte Vertrauensleute, parteilich für die angestellten FahrerInnen. Auch legal wirtschaftende Unternehmen versuchen, möglichst Maximalgewinne zu erzielen. Sie könnten z.B. oberhalb des Mindestlohnniveaus die Prozente kappen, wenn die Illegalen rausfiiegen. Wir hätten kaum etwas gewonnen ! Dagegen hilft nur eine konsequente betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretung.

    Dies dürfen wir in unseren Veröffentlichungen nicht verwässern, gelten sonst als "gelb" (liberal) und unternehmernah und zu uns kämen noch weniger KollegInnen , denen es "stinkt". Mit mir wäre eine Linir die nur noch gegen die "Semiprofessionalität" vorgeht, auch nicht zu machen.

  • Lieber Kollege AK,

    Natürlich wurden im Rechenmodell für kriminelle Taxiunternehmen fiktive Bereitschaftszeiten als Rechengrundlage gewählt. Ich nehme an, dass Du mir zustimmen wirst, dass sich aus der Entwicklung der uns bekannten üblichen Stundenumsätzen Erkenntnisse über die tatsächlichen Löhne und Bereitschaftszeiten abgeleitet werden können.

    Wir versuchen, anhand von bekannten Standardwerten und Beobachtung der üblichen Stundenumsätze zu plausiblen Ergebnissen zu kommen.
    1. Die durchschnittliche Tour bringt etwa 13 Euro ein. Dieser Wert ist seit Jahren ziemlich stabil.
    2. Vor 2018 hatte der typische Tagfahrer in zwei Stunden 3 Fahrgäste, also € 19,50 Umsatz pro Stunde.
    3. Es wird in der Regel 45% vom Umsatz als Bruttolohn gezahlt, legal, illegal, sch...egal, Milo-Gesetz interessiert niemand.
    4. 2017 und 2018 verdiente der durchschnittliche Berliner Taxifahrer damit etwa € 8,78 brutto pro Stunde, also etwas weniger als den gesetzlichen Mindestlohn. Da ein Teil der Taxifahrer mehr als den durchschnittlichen Umsatz hatte, verdiente die Mehrheit der Taxifahrer weniger als diesen Betrag und damit deutlich weniger als den gesetzlichen Mindestlohn.
    5. Bis Ende 2019 wurde es normal, länger als eine Stunde auf den nächsten Fahrgast zu warten. Das war die Folge der verstärkten Präsenz der Uber-Mietwagen und entspricht der im Berliner Taxigewerbe verbreiteten Beobachtung von Umsatzverlusten von ca. 30% in den Jahren 2018/2019.
    6. Im ersten Lockdown ab April 2020 sanken die üblichen Umsätze auf teilweise unter 5 Euro/Stunde und überstiegen seitdem nie wieder 10 Euro. 3 Stunden Warten = Bereitschaftszeit pro Fahrgast sind mittlerweile nicht mehr die Regel aber auch keine Ausnahme. Da Länge, Dauer und Preis der durchschnittlichen Tour weiter erstaunlich konstant ist, können wir Aussagen zum Verhältnis von Bereitschafts- und bezahlten Arbeitszeiten machen.

    Die Annahme von 50% Bereitschaftszeit und 50% Arbeitszeit wäre mittlerweile zu optimistisch. Alle konkreten Zahlen müssen je nach Kontext nachgeprüft und geschärft werden, um zu gültigen und belegbaren Aussagen zu kommen. Dafür werden aktuelle und am besten objektive Werte benötigt, wie sie zum Beispiel auf den "Fiskalservern" vorliegen.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Mindestlohngesetz_(Deutschland)