Taxi-Chef: „Wir brauchen Hilfe. Sonst wird es uns bald nicht mehr geben“,
Peter Neumann nimmt in seiner Berichterstettung einen neutralen Standpunkt ein, wie ihn der bürgerlichem Pressekodex vorschreibt. Das hält ihn zuverlässig davon ab, die wirklichen Gründe der Taxi-Misere zu erfassen. [1]. Das wollen wir hier so kurz und knapp wie möglich versuchen. Dazu schlagen wir uns auf die Seite der Ausgebeuteten und Unterbezahlten. Aus ihrer Perspektive sieht man besser.
Chef der Taxi Innung bittet um Hilfe
Zuerst aber zum netten Leszek von der Taxiinnung, der Peter Neumann zufolge flehentlich um Hilfe bittet.
Der Vorsitzende des Berliner Unternehmerverbands "Innung des Berliner Taxigewerbes e.V." schlägt vor, die Taximisere durch Elektrifizierung zu lösen. Für ihn sind die "Zuschüsse für den Kauf von Elektrotaxis ein „voller Erfolg“. Wie er aus 60 erfolgreich subventionierten Elektrotaxis von über 8000 bis zuletzt knapp 6000 Taxis einen vollen Erfolg macht, bleibt sein Geheimnis.
Rechnen wir mal nach: 60 von 6000 entspricht einem Prozent der Berliner Taxiflotte. Es hätten deutlich mehr Elektrotaxis werden können, aber das Förderprogramm wurde von den Taxiunternehmern nicht angenommen. Vermutlich waren die "bürokratischen Hürden" zu hoch, was im Fall der Taxibetriebe bedeuten dürfte, dass sie sich von Mauschelei und in vermutlich nicht wenigen Fällen von betrügerischen Geschäftsmodellen hätten verabschieden müssen, um den üblichen Anforderungen an eine erfolgreiche Beantragung von Subventionen zu genügen.
Das Berliner Taxigewerbe ist als Folge der Untätigkeit von Politik und Aufsichtsbehörde zu einem Sumpf aus kreativer Buchführung und brutaler Ausbeutung geworden. Nicht einmal die Einführung einer digitale Vollüberwachung jedes Auftrags in Echtzeit Anfang 2017 hat daran etwas geändert. Der Wurm ist drin im Taxigewerbe und hat sich so fettgefressen, dass er kaum mehr ohne Totaloperation entfernt werden kann.
Wer sich ernsthaft für die Ursachen des Taxielends interessiert, der entdeckt, dass die Zustände noch schlimmer und die Abgründe noch tiefer und weitreichender sind, als aus der Berichterstattung zu erfahren ist. Dabei genügt es, sich in die Lage der Fahrer und Kleinunternehmer zu versetzen, um zu begreifen, dass es mit den Berliner Taxis nicht mehr weitergehen kann wie bisher.
Löhne unter aller Kanone
Taxiunternehmen zahlen zwischen 40 und 45 Prozent vom Unsatz als Bruttolohn und damit deutlich unter Mindestlohnniveau.
Zur Zeit üblicher Lohn bei Umsätzen zwischen 9 und 15 Euro pro Stunde:
– bei € 9,00 Umsatz/Stunde: € 4,05
– bei € 15,00 Umsatz/Stunde: € 6,75 [2]
Aus Sicht der Fahrer müssen drei Schwellenwerte erreicht werden [3]:
– Gesetzlicher Mindestlohns/Stunde, ab Juli 2022: € 10,45
– Berliner Vergabemindestlohn/Stunde: € 13,00
– Armutsfester Stundenlohn: € 22,21
Aus Sicht der Unternehmer erforderliche Umsätze pro Stunde
– Gesetzlicher Mindestlohns, ab Juli 2022: € 26,23 Umsatz/Stunde
– Berliner Vergabemindestlohn: € 28,89 Umsatz/Stunde
– Armutsfester Lohn: € 49,36 Umsatz/Stunde
Aus eigenem Erleben sei noch ergänzt, dass die heutige Straßensituation sogar Heiligabend stündliche Umsätze von ca. 50 Euro so gut wie unmöglich macht. Wer in der Weihnachtsschicht um die 30 Euro pro Stunde einnimmt, also ca. € 13,50 Brutto verdient, hat die Grenze des maximal möglichen Stundenlohns bei 45% Umsatzbeteiligung erreicht. Von den unglaublichen Glücksfällen, in denen man eine ganze Schicht lang jede Stunde eine Fuhre aus Charlottenburg über die Autobahn zum Flughafen BER hat, sehen wir mal ab. Es muss sich also auch etwas an der Verkehrspolitik ändern, wenn Taxifahren irgendwann den Kriterien für Gute Arbeit entsprechen soll [4] .
Wie es zu dieser Schieflage kommen konnte
Das Berliner Taxigewerbe hat drei persönliche Reiter der Apokalypse. Diese Dreieinigkeit, sträubt sich ähnlich störrisch gegen jede sachliche Annalyse wie die christliche Trinität. Aber versuchen wir es trotzdem einfach mal. Der Verständlichkeit halber stellen wir die Dinge so einfach wie möglich dar. Kenner der Branche werden unseren Gedanken viel hinzufügen können.
Wie alles anfing: Ordoliberalismus und Personenbeförderungsgesetz von 1961
Die Berliner Taxiunternehmer von 1961 waren Überlebende des II. Weltkrieg, im Nazireich sozialisiert und gemeinsam mit Lugwig Erhard, der Sozialdemokratischen Partei und allen anderen entscheidenden Akteuren in Wirtschaft und Politik der Auffassung, dass nur eine große Zahl Privatbetriebe, deren Handeln durch Gesetze vorgegeben und begrenzt wird, eine eine gesunde Grundlage für eine freie und wohlhabende Gesellschaft darstellen kann. Jeder Arbeitende sollte seiner Familie ein angenehmes Leben mit der Aussicht auf sozialen Aufstieg bieten können. In der rein deutschen Nackriegsgesellschaft sollte jeder eine faire Chance haben. Soweit die Ideologie, deren Versprechungen sich in den folgenden politischen und Wirtschaftskrisen als Lügen entpuppten.
Das Berliner Taxigewerbe erhielt mit dem Nachkriegs-Personenbeförderungsgesetz eine Aufsichtsbehörde, die immer nur so viele Taxis konzessionierte wie die Berliner benötigten. Zugleich stellte sie sicher, dass die Taxiunternehmer von ihrem Kundenstamm auskömmlich leben konnten. Im Grunde verwirklichte das Ord-C, das heutige LABO, einen Gesellschaftsvertrag, der so lange aufrecht erhalten blieb, wie Nachkriegsdeutschland prosperierte und die Frontstadtsubventionen reichlich nach Berlin flossen. Wer sich ein Taxi und eine der bald raren Konzessionen leisten konnte, erwartete, durch seine Arbeit als Kutscher am allgemeinen Aufschwung beteiligt zu werden. Ein selbständiger Taxischofför stellte etwas dar und brachte seine Kinder erfolgreich in Ausbildung und Studium.
Das Personenbeförderungesetz, das gemeinsam mit bundes- und Länderverordnungen festlegt, was ein Taxi ist, was es darf, was es muss und was es nicht darf, stammt aus der schönsten Wirtschaftswunderzeit. Am 21. März 1961, knapp sechs Monate vor der Errichtung der Berliner Mauer, wurde es im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Seit 1949 und noch bis 1963 gab Ludwig Erhard als Bundesminister für Wirtschaft die Linie vor. Er war Mitglied der neoliberalen Mont Pèlerin Society, den Vordenkern des heute weltweit bestimmenden radikalen Liberalismus nach Milton Friedman. Ludwig setzte damals eine Form des Ordoliberalismus durch, bei der dem Staat die Aufgabe zukommt, die Freiheit aller Wirtschaftssubjekte auch vor Angriffen aus den eigenen Reihen zu schützen. Der heutige bis in die sozialdemokratische und Linkspartei hinein wirkende Neoliberalismus hingegen will jeden Einfluss des Staats auf die Wirtschaft und ihre Akteure verhindern. Neoliberale von heute glauben mit religiöser Inbrunst an die allein heilsbringende Kraft der unsichtbaren Hand des Marktes. Dementsprechend macht die seit August 2021 gültige Fassung des Personenbeförderungsgesetzes viel Platz für fragwürdige Beförderungsangebote zu Lasten des ÖPNV.
Verantwortlicher Nummer eins: Politik und Verwaltung
Der Ablauf des wirtschaftlichen Niedergangs des Berliner Taxigewerbes folgt den Etappen der politischen Durchsetzung immer radikalerer liberaler Ideen. Jede Verschärfung der Deregulierung und jede Reduzierung staatlichen Einflusses auf ihre Branche war für die Berliner Taxiunternehmer und -fahrer gleichbedeutend mit einer Verschlechterung ihrer Lage. Anders als Weltkonzerne können sich kleine und mittelständische Unternehmen keine eigenen Lobbyarmeen und Kapitalhaubitzen leisten und sind dem Trommelfeuer der Weltkonzerne ohmächtig ausgesetzt.
Die Berliner Taxi-Aufsichtsbehörde und Verkehrsverwaltung unterlassen es, jährlich Gutachten zur wirtschaftlichen Lage des Taxigewerbes zu beauftragen und genehmigen jede beliebige Zahl Taxi- und Mietwagenkonzessionen. Das hat das neoliberale Methode. Wenn heute eine Senatorin von Taxiverbänden wegen Untätigkeit verklagt wird, zeigt das die Verständnislosigkeit der Taxifunktionäre in Sachen grün-liberaler Ideologie: Die Senatorin und ihre Behörde sollen auf keinen Fall in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen. Taxiverbände, die "fairen Wettbewerb" als Schutz vor Uber von der Politik fordern, zielen in die falsche Richtung und können deshalb nur verlieren. Sie fordern etwas, das nach Auffassung der Neoliberalen bereits verwirklicht ist. Kleine Unternehmen und ihre Beschäftigten sind auf Schutz durch gezielte Regulierung angewiesen, die ihnen die liberalen Parteien FDP, Grüne, CDU/CSU und SPD aus ideologischen Gründen verweigern.
Verantwortlicher Nummer zwei: Taxiunternehmer und -verbände
Die Taxi-Kleinstunternehmer waren mental und von ihrer Kapitalausstattung her nicht auf die Umbrüche der 1970ger und folgenden Jahrzehnte eingestellt. Zunächst stänkerten sie nur, als immer mehr Studenten sich als Taxiunternehmer und -fahrer in ihre Welt drängelten. Die begrenzte Anzahl Taxikonzessionen schützte sie bis auf weiteres vor unliebsamer Konkurrenz in Größenordnungen. Noch konnte, wer in Rente ging, seine Taxikonzession für einige zehntausend D-Mark an Nachfolger verkaufen, so daß sich die eigene Lebensleistung gelohnt hatte. Das funktionierte so lange bis Mitte der 1980ger Jahre ein Unternehmer eine zweistellige Zahl Taxis auf die Straßen Berlins bringen wollte, und ihm das Ord-C die erforderlichen Kozessionen verweigerte. Der Mann klagte gegen die Entscheidung der Behörde und gewann. Sein Anwalt äußerte Jahre später, dass er diesen Prozess nicht hätte gewinnen dürfen, aber sich die Behördenvertreter vor Gericht als derart unvorbereitet und uninteressiert zeigten, dass der Richter seinem Mandanten die Konzessionen mangels substantiellen Vortrags der beklagten Behörde zusprach.
Damit war der Damm gebrochen. Hatte das Aufkommen der studentischen Taxibetriebe den wachsenden Kuchen auf ein paar Fahrer mehr verteilt, ohne eine wesentliche Senkung der Einkommen nach sich zu ziehen, verschlechterte sich die Lage der Berliner Taxifahrer und mittlerweile immer mehr Fahreinnen bis 1989 merklich. [5] Die bislang dominierenden, von selbst fahrenden Kleinunternehmern betriebenen Taxen machten immer mehr mit Angestellten besetzten Fahrzeugen Platz. Mach einem kurzen Aufschwung in Folge der Öffnung der Berliner Mauer brachen die Geschäfte in mehreren Etappen deutlich ein. Die erste Etappe war Folge der Vereinigung der Berliner Taximärkte in Ost- und Westberlin. Nicht nur die ca. 1000 Wagen des VEB Taxi kamen auf den schwächelnden Markt sondern zahlreiche Angehörige von staatlichen Organen der DDR verschafften sich noch kurz vor Ende ihres Staats Taxilizenzen und -fahrerlaubnisse, weil sie in der Bundesrepublik keine andere wirtschaftliche Zukunft für sich sahen.
Damit teilten sich wieder einmal noch mehr Wagen die Einnahmen. Infolge der Schließung eines Großteils der Industriebetriebe in Ost und West verarmten die früher so feierlustige Arbeiter und Angestellten. Sie hörten auf, mit dem Taxi in die Kudammdiskos, zum Café Nord und in die Hafenbar zu fahren oder, wenn sie verschlafen hatten, sich schnell "vom Gummi" zur Arbeit kutschieren zu lassen.
Die 1990ger Jahre in Berlin waren geprägt vom Wegfall der Mauerstadtsubventionen, dem vergeblichen Warten auf den Aufschwung für die wieder in ihre Funktion eingesetze Hauptstadt und massenhafter Privatisierung von Immobilien aus öffentlichem Besitz zu Schleuderpreisen. In dieser Zeit wurde eine größere Zahl neuer Taxibetriebe von türkischstämmmigen Berlinern gegründet, die junge Männer aus ihrem Umfeld als Fahrer einstellten, deren Einkommenserwartungen deutlich niedriger lagen als die ihrer Altersgenossen mit rein deutschem Hintergrund. So fielen die Umsätze pro Taxi weiter. Durch Tricks wie dem Ringtausch von Taxametern gelang es jedoch vielen Unternehmen weiterhin, große Teile der Einnahmen vor dem Finazamt und den Sozialkassen zu verbergen. Betrugswillige Unternehmer konnten sich satte Schwarzgeldprofite ergaunern.
Das Taxigewerbe gräbt sich selber das Wasser ab
Hier zeigt sich worin der Anteil der Taxiunternehmer am Untergang ihre Gewerbes besteht. Dort, wo der ideale Unternehmer auf einen schwächelnden Markt mit technisch-organisatorischer Innovation und der Erschließung neuer Geschäftsfelder reagiert, und letztlich die weniger profitablen Bereiche seines Unternehmens abwickelt, reagierte ein entscheidendes Segment der Berliner Taxiunternehmer auf die sinkenden Umsätze pro Auto mit der Rekrutierung immer anspruchsloserer, ärmerer Fahrer. Sie wurden für die zusätzlichen Autos benötigt, mit denen die Gewinneinbußen der anderen Wagen der Betriebe ausgeglichen wurden. Aufgrund der zügellosen Vergabe von Taxikonzessionen halfen auch Tariferhöhungen nichts. Sie wurden zuverlässig von neu konzessionierten Taxis aufgebraucht. Für die Fahrer fühlte es sich an, als ob die Berliner Kundenschwärme komplett überfischt wären. Zugleich gelang es innovativen Taxiunternehmern durch den Betrieb von Taxischulen und privaten Arbeitsvermittlungen große Summen aus der staatlichen Arbeitsförderung für die Rekrutierung und Ausbildung weiterer unterbezahlter Fahrer in ihre Taschen umzulenken.
Diese Entwicklung hörte erst auf nachdem der Einbruch der P-Schein-losen Uber-Fahrer ab 2017 und die Covid-Lockdowns der Jahre 2020/2021 die stündlichen Taxi-Umsätze unter die 5-Euro-Marke gedrückt hatten. Der finanzielle Spielraum für kreative Buchhaltung war verschwunden und noch brutalere Ausbeutung war ebenfalls nicht mehr möglich, nachdem jeder gefahrene Kilometer ein Zuschussgeschäft geworden war. Am besten überleben konnten die „Taxibetreibe“, die neben der Personenbeförderung als Gelegenheitsverkehr über weitere legale oder illegale Standbeine verfügten. Die verbliebenen selbst fahrenden Taxiunternehmer und ihre rar gesäten ehrlichen Kollegen mit mehreren Wagen stehen heute vor dem Ruin. Diese erschreckende Tatsache ist der ungenannte Hintergrund des hier kommentierte Artikel aus der Berliner Zeitung.
Verantwortlicher Nummer drei: Die Berliner Taxifahrer
In der besten aller Welten hätten die abhängig beschäftigten Taxifahrer gemeinsam mit ihren Kollegen, die als selbst fahrende Kleinunternehmer ihr wirtschaftliches Schicksal teilen, Berlin seit der Jahrtausendwende regelmäßig zum Stillstand gebracht, und so eine Reduzierung der Zahl der Taxis und eine effektive Bekämpfung des Lohn- und Sozialdumpings in Taxis und Mietwagen erreicht. Das Ergebnis dieser kraftvollen Kämpfe wäre ein stetiger Dialog zwischen Gewerbevertretern, Gewerkschaften und Stadtpolitik für ordentliche Löhne und Gewinne für die Einwagenbetriebe gewesen, sowie die Positionierung von Taxis als Antwort auf überhand nehmenden Straßenverkehr und Umweltverschmutzung.
Es hat nicht sollen sein. Die traditionellen Taxifahrer waren als Kleinunternehmer immer Gewerkschaftsfeinde und ihre angestellten Fahrer benötigten vor 1989 keine Gewerkschaft. Sie verdienten gut, konnten sich die Arbeit nach Belieben einteilen und wechselten bei schlechten Arbeitsbedingungen, alten Autos und unfreundlichen Chefs einfach den Betrieb. Sie waren rar, denn kaum jemand unterzog sich der Mühe der Ortskundeprüfung, die eine Durchfallquote von zwei Dritteln hatte. Angestellte Fahrer und Taxiunternehmer waren sich ebenbürtig und benötigten keine organisierte Interessenvertretung.
Die Proletarisierung der Tätigkeit "Taxifahrer" - mittlerweile sind zwei Drittel der Taxis mit schlecht bezahlten Angestellten besetzt - fiel zusammen mit ihrer Internationalisierung. Die proletarischen Taxifahrer von heute haben keinen Familienhintergrund im Industrieproletariat Westeuropas. Sie haben keine Familiengschichte, in der große Organisationen als ihre Interessensvertretungen wirkten, sondern sind Nachfahren der einfachen Landbevölkerung aus der Levante und vom Balkan. Diese Gesellschaften kannten Staatlichkeit und große Organisationen bis vor wenigen Jahren ausschließlich als osmanische Besatzungsmacht, von Entscheidungen Moskaus abhängige Pseudeo-Demokratie oder post-sowjetische Diktatur. Leben und Bewußtsein in diesen Gesellschaften waren geprägt durch familiäre Beziehungen und kleine Geschäfte außerhalb der staatlichen Legalität. Vor diesem Hintergrund gelang es den Berliner Taxifahrern nicht, sich aus der Abhängigkeit von ihren Chefs zu lösen und sich als Klasse, als Arbeitnehmer, die gemeinsam ihre Interessen gegen die Arbeitgeber durchsetzen, zu organisieren.
Ohne starke gewerkschaftliche Interessenvertretung teilen die Taxifahrer das Schicksal so gut wie aller unorganisierten Arbeitnehmer der Dienstleistungsbranchen.
Was ist mit UBER ?
Bei jedem Gespräch unter Kollegen über die Ursachen der katastrophalen wirtschaftliche Lage des Taxigewerbes kommt die Sprache auf UBER. Ohne die von dieser und anderen Konzernplattformen vermittelten Mietwagen könnten in Berlin etwa 6000 Taxis gewinnbringend betrieben werden. Die Taxifahrer würden auch unter diesen Bedingungen nicht genug verdienen, um ihre Familien als Alleinverdiener zu ernähren, aber sie würden mehr als den gesetzlichen Mindestlohn erzielen. Die grundlegenden Probleme des Taxigwerbes wären durch ein Verbot von Uber und ähnlichen Anbietern jedoch nicht zu lösen. Taxifahren als Gute Arbeit setzt voraus, dass der private PKW-Verkehr aus der Stadt verbannt wird, die vielen Durchfahrtsbeschränkungen und Staus damit entfallen, und vor allem die Zahl der Taxis auf eine für Berlin verträgliche Zahl begrenzt wird.
Ein erster Schritt in Richtung verbesserung der Situation könnte die Durchsetzung des gesetzlichen Mindestlohns für Taxi- und Uber-Fahrer darstellen, denn die billigeren Angebote der illegalen Taxi-Konkurrenten beruhen auf massivem Lohndumping und noch extremerer Ausbeutung als der in den Taxis praktizierten.
Der Kampf gegen Uber ist als Kampf gegen eine weitere Form der Zerstörung von Normalarbeitsverhältnissen richtig. Für die Kolleginnen und Kollegen am Steuer der Taxis kann dabei er nur als Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen am Lenkrand, als gemeinsamer Kampf für bessere, wenigstens gesetzeskonforme Löhne, Ergebnisse bringen.
Was tun
Für Fahrerinnen und Fahrer, egal ob Angestellte oder Selbständige ist der erste Schritt zur Besserung sehr einfach. Eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ver.di und die Teilname an den Aktivitäten der AG Taxi schützen unserer Erfahrung nach vor Unternehmerwillkür und Ausbeutung. Die vielen Service- und Versicherungsleistungen der großen Gewerkschaft von Rechtsschutz bis Erstattung von Schadensersatzforderungen des Betriebs bei Unfällen oder Verlust der teuren Autoschlüssel sollten bereits alleine für sich eine Mitgliedschaft rechtfertigen.
Für die Branche ist der Ausweg aus der Taximisere ist so komplex wie ihre Ursachen. Von Seiten der organisierten Taxiunternehmer, Politik und der Behörden ist aus den beschriebenen Gründen keine Lösung zu erwarten. Ihre widersprüchlichen Interessen und die neoliberale Ideologie verhindern eine stimmige Antwort auf die Herausforderungen für den städtischen Personennahverkehr. Vermutlich werden größere Kräfte wirken müssen, die Player wie Uber, lokale Vermittllungsmonopole und die mehr oder weniger kriminellen Mehrwagenunternehmen zerstören. Das Jahr 1945 und die Taxigeschichte der ersten Nachkriegszeit geben Hinweise darauf, wie ein Neubeginn des Berliner Taxigewerbes ausehen kann. Aus dem völligen Zusammenbruch würde ein gesellschaftliches Bedürfnis für eine neuartige, ökologisch sinnvolle und allgemein zugängliche Form des individuellen Personennahverkehrs entstehen. Chauffeure und Chauffeusen würden dafür benötigt und für ihre wichtige Tätigkeit angemessen entlohnt werden.
Bis dahin müssen wir weiter daran arbeiten, Zusammenschlüsse mit Kolleginnen und Kollegen aufzubauen, Wissen über gesellschaftliche Kämpfe verbreiten und überall gewerkschaftliche Unterstützung leisten, wo sie benötigt wird. Wer weiss, vielleicht entdecken wir noch ein im Verborgenen wachsendes Pflänzchen, das wir zu zu voller Blüte bringen können.