Was ist los am Hauptbahnhof?

27. September 2023 von Redaktion

Heute ist eine Presseanfrage zu den Halteplätzen am Hauptbahnhof und einigen anderen Taxifragen eingegangen. Schön, wenn sich mal wer interessiert. Hier die Fragen und Antworten.

1. Was halten sie von den Plänen, die Taxis allein am Hinterausgang und in der Tiefgarage an- und abfahren zu lassen?

Die Idee, uns in die Katakomben des Bahnhofs zu verbannen, ist ein bislang unübertroffener Ausdruck der Verachtung, die uns Taxifahrern von Seiten des offiziellen Berlin entgegengebracht wird.

Taxis nur noch am ’Hinterausgang’ des Berliner Hauptbahnhofs vorzuhalten, stellt eine Gefährdung der Fahrgäste dar, die riskieren in die Hände illegaler „Aufreißer“ zu fallen.

2. Welche Sorgen haben sie bezüglich der neuen Pläne?

Für unsere Fahrgäste ist es unzumutbar, unten in der Tiefgarage auszusteigen, anstelle den Bahnhof direkt über die großen Eingänge zu betreten, wo ihnen Informationsschalter und elektronische Hinweissysteme den besten Weg zu ihren Zügen weisen. Die Architektur des Bahnhofs wurde für diese Wege konzipiert. Der Zugang über die Fahrstühle der Tiefgarage ist eine Zumutung.

Der Bahnhof hat zwei Zugänge am Europlatz (https://www.openstreetmap.org/node/5208301123) und Washingtonplatz (https://www.openstreetmap.org/way/895946502), an denen Taxis für Fahrgäste bereitstehen müssen. Es wird nie funktionieren, Taxifahrgäste per Leitsystem zu einem einzigen Ausgang mit Taxis zu führen. Viele werden dennoch orientierungslos zum anderen Ausgang gehen und dort von illegalen Anwerbern für Mietwagen abgefangen werden. Diese sind nicht berechtigt Fahrgäste ohne Vorbestellung aufzunehmen und tun es dennoch, wie sie auch sonst gegen alle erdenklichen Vorschriften zum Schutz der Fahrgäste verstoßen.

3. Haben sie konkrete Pläne, gegen dieses Vorhaben vorzugehen?

Wir Taxifahrerinnen und Taxifahrer in der Gewerkschaft ver.di engagieren uns für gute Arbeitsbedingungen und Löhne. Deshalb setzen wir uns für Halteplätze ein, die gute Arbeitsplätze sind. Wir brauchen ausreichend Abstand zum fließenden Verkehr, um die Türen des Autos jederzeit offen lassen zu können, Fitness- und Kaffeestände, und benötigen zusätzliche Abstellplätze, an denen wir Pause machen können. Wir wenden uns mit Stellungnahmen an Senat und Bezirksämter, damit diese Halteplätze so gestalten, dass besonders gehbehinderte Fahrgäste direkt aus Bahnen und Bussen für die „letzte Meile“ ins Taxi umsteigen können. Das „Problem Hauptbahnhof“ gehen wir gemeinsam mit dem Halteplatzbeauftragten der Taxiinnung an.

4. Wie sehen sie die Stimmung gegenüber Taxis in Berlin derzeit generell? (Beispiele Übergriffe auf Fahrer, Uber etc.)

Das Thema Uber / illegal agierende Mietwagenfirmen betrifft uns sehr, weil noch nicht ausreichend bekannt ist, dass so gut wie jeder Euro, der für eine Fahrt mit Uber und ähnlichen Plattformen ausgegeben wird, direkt in die Taschen von Kriminellen fließt. Ein vorsichtig formulierender Beamter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) hat kürzlich in RBB und ARD Fernsehen von einem Drittel schwarz gezahlter Löhne gesprochen.

Viel gravierender ist der Umstand, dass die „billigen“ Fahrpreise der Plattform-Mietwagen nur durch extreme Ausbeutung, also durch Löhne deutlich unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns möglich werden. Würden die Aufsichtsbehörden die Zahlung des Mindestlohns durch die Mietwagenbetriebe durchsetzen, was technisch in der vollständig Echtzeit-verdateten Branche kein Problem darstellt, würden von den zur Zeit 4449 Mietwagen vermutlich weniger als 100 übrig bleiben, die dann gutes Geld in anderen als dem Taxi-Marktsegment verdienen würden. Wenn die Taxi- und Mietwagen-Aufsichtsbehörde LABO ihre Arbeit machen würde, wäre das Thema „Uber“ schnell aus der Welt.

Die Aggressivität im Verkehr hat in den vergangenen Jahren so zugenommen, dass sie zu einer ernsthaften Belastung bei unserer Arbeit geworden ist.

Wir erleben Unterstützung von den Teilen der Politik, die begriffen hat, dass die Stadt ein preislich zuverlässiges und jederzeit verfügbares Angebot an Taxis benötigt.

Wir freuen uns besonders über die Initiative des SPD-Mitglieds im Berliner Abgeordnetenhaus Tino Schopf (https://www.spdfraktion-berlin.de/abgeordnete/tino-schopf), der es unternommen hat, eine wirksame Kontrolle des Taxi- und Mietwagengewerbes in Berlin durchzusetzen.

5. Welche Bedeutung haben Taxis für die Stadt?

Das Taxigewerbe ist bis ins letzte Detail gesetzlich reguliert und eignet sich deshalb perfekt als individuelle Beförderungslösung, wo der Markt versagt. Die Stadt kann die Bereitstellung von Taxis an bestimmten Orten zu Zeiten anordnen, wenn sie dort gebraucht werden. In der Vergangenheit wurden immer wieder erfolgreiche Kooperationsprojekte von BVG und Taxigewerbe sowie städtischen Krankenhäusern vereinbart. Auch mit großen privaten Reiseveranstaltern wurden Pauschalverträge geschlossen, die Busreisen mit Haus-zu-Haus-Service ermöglichten. Für eine erfolgreiche ökologische Transformation der Stadt könnten Taxis gezielt dort eingesetzt werden, wo der generelle Individualverkehr nicht mehr möglich sein wird, aber dennoch beispielsweise Fahrten zum Krankenhaus oder Bahnhof gemacht werden müssen.

Die Wahrnehmung von Taxis als Teil des öffentlichen Nahverkehrs hat aufgrund der Verarmung großer Teile der Berliner Bevölkerung nachgelassen. Viele können sich Taxifahrten einfach nicht mehr leisten und wandern zu den mit Lohndumping und Sozialbetrug subventionierten Mietwagen ab. Uns bleiben Geschäftsleute, Politik und ein Teil des Tourismus als Kundenbasis. Wir fahren weiterhin Oma für keine zehn Euro zum Arzt, und warten auf diesen Auftrag wie auf jeden anderen eine Stunde oder länger. Die Berliner Taxifahrer sind Teil der arbeitenden Armen der Stadt, die nur durch Unterstützung Dritter überleben.

Wir erleben in Gesprächen mit politischen Parteien, dass dem Taxigewerbe eine wichtige Rolle bei der Modernisierung der Berliner Mobilität zugetraut wird.

Dabei ist ein großen Problem für die Wahrnehmung der Berliner Taxifahrerinnen und -fahrer als bestinformierte Berlinerinnen und Berliner, dass durch die Abschaffung der gefürchteten Ortskundeprüfung eine Dequalifizierung erzwungen worden ist, welche eine Gefahr für die Zukunft der ganzen Branche darstellt.

Sie können alte Taxi-Hasen nach einem beliebigen Berlinthema fragen, und wir können es verorten, das heißt Ihnen alles über einen Ort, seine Umgebung und Geschichte berichten. Wer lange genug dabei ist, kennt Stories zu jedem Ort der Stadt aus eigenem Erleben. Durch den Wegfall der präzisen Ortskenntnis wird der Aufbau einer innerlich „kartierten“ Erinnerung unmöglich. Ohne derart genaue Stadtkenntnisse entfällt die helfende und beratende Funktion des Taxifahrer-Berufs und unser Beitrag zur „menschlichen Stadtentwicklung“ wird unmöglich gemacht.

Dequalifizierung führt zu schlechteren Einkommen, die bereits jetzt unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns liegen, nicht nur bei den Mietwagen sondern auch im Berliner Taxigewerbe. Damit wird der Nachwuchs an qualifizierten Fahrerinnen und Fahrern zuverlässig verhindert, und so die Entwicklung des Taxigewerbes zu einer modernen, in das Berlin der Zukunft integrierten Branche von vornherein unmöglich gemacht.

Jede Dienstleistungsbranche lebt von der Qualifikation seiner Arbeitenden, auch das Taxigewerbe. DGB und ver.di fordern deshalb eine Ausbildungsabgabe aller Betriebe, die nicht ausbilden. Vielleicht motiviert das Taxiunternehmen dazu, endlich nicht mehr ihr Heil im immer extremeren Senken der Löhne zu suchen.

Wir tun das Unserige dazu.

AG Taxi bei ver.di


Das Logo und die Illustration des Artikels zeigen den so genannten Glaspalast im Landesausstellungspark in Berlin-Moabit neben dem Lehrter Stadtbahnhof. Entstehungsdatum circa 1895, deshalb ist das Werk nach deutschem Recht gemeinfrei bzw. unterliegt es der GNU Free Documentation License oder der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license. Das hängt vom Recht des Landes ab, in dem die Veröffentlichung erfolgt.

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